"Wo ist Gott?" Ein Gespräch mit dem Astronomen des Papstes

Wenn wir die Welt mit Naturgesetzen erklären können, wo ist dann Gott? Wer sich mit der Entstehung und dem Aufbau des Universums befasst, stößt zwangsläufig auf solche Fragen. In diesem schwierigen Grenzgebiet zwischen Wissen und Glauben bewegt Guy Consolmagno sich täglich. Er ist Astrophysiker, Jesuit und leitet die Sternwarte des Papstes in Castel Gandolfo bei Rom, wo eine weithin sichtbare Teleskopkuppel den Palast der päpstlichen Sommerresidenz krönt. Das Vatikanische Observatorium, im Jahr 1891 gegründet, um den Austausch zwischen Wissenschaft und Religion zu fördern, betreibt als internationale Forschungseinrichtung auch ein Großteleskop der Wüste von Arizona. Consolmagno stammt aus Detroit. Er ist Experte für Meteoriten und untersucht die Entstehung der Himmelkörper im Sonnensystem. Er erscheint im Sweatshirt und mit weißem Rauschebart, spricht schnell und lacht viel. Eher hätte ich einen Professor einer amerikanischen Universität des mittleren Westens als den Astronomen des Papstes in ihm vermutet.

Stefan Klein: Herr Consolmagno, wir können heute mit Weltraumobservatorien das erste Licht des Universums nach dem Urknall einfangen, die kosmische Hintergrundstrahlung. Als der amerikanische Astrophysiker George Smoot vor einigen Jahren die Ansichten dieser Strahlung präsentierte, sagte er: „Wenn Sie religiös sind, dann ist es, als würden Sie in Gottes Antlitz schauen.“ Stimmen Sie ihm zu?

Guy Consolgmagno: Smoot hat die Erfahrung sehr genau beschrieben: Plötzlich sieht man etwas, von dem man nie dachte, es je sehen zu können. Dies ähnelt einem religiösen Erlebnis.

Was empfinden Sie selbst, wenn Sie zum Sternenhimmel aufschauen?

Dasselbe Staunen, das ich als Kind fühlte, aber mit dem zusätzlichen Vorteil von Wissen. Was ich weiß, lässt mich die Dinge, die ich wahrnehme, noch höher schätzen. Ich habe ein kleines privates Teleskop. Wer durch das Fernrohr den Orionnebel erblickt, sagt, wie wunderschön. Ich aber kann den Orionnebel anschauen und weiß: Dort werden Sterne geboren. Mit einem größeren Teleskop erkennt man sogar, wie Planetensysteme entstehen. Es ist, wie Musik zu hören oder einen Sonnenuntergang zu bewundern. Die rote Sonne ist schön. Und die Maxwellschen Gleichungen, die beschreiben, wie ihr Licht zu uns gelangt, sind schön. Diese Eleganz der Natur erfahren Sie aber nur, wenn Sie die Wissenschaft kennen.

Ich weiß, was Sie meinen: Ein fast ekstatisches Staunen darüber, dass sich die Schönheit der Welt uns auf so vielen verschiedenen Ebenen zeigt.

Das einfachste Wort dafür ist: Freude. Wenn es mir nicht gut geht bin, schaue ich durch das Teleskop. Nachher bin ich viel glücklicher.

Würden Sie dieses Glück ein religiöses Gefühl nennen?

Ja. Aber mit der Betonung auf Gefühl. Religion ist mehr als Emotionen. Aber natürlich ist die Freude, die ich beim Blick durchs Teleskop oder auch dann empfinde, wenn ich Daten aus dem Computer ausgedruckt habe und plötzlich etwas verstehe, mit der Freude vergleichbar, die ich im Gebet erlebt habe.

Sie haben 20 Jahre als Wissenschaftler gearbeitet, bevor Sie Jesuit wurden. Wie kam es?

Ich bin katholisch aufgewachsen. Ich habe mich in meinem Elternhaus, irische Mutter, italienischer Vater, sehr wohl gefühlt. Und ich bewunderte meine Lehrer, die Jesuiten waren. Religion war ein wichtiger Teil unseres Lebens, aber ich habe mich durch sie nie von Schuldgefühlen beladen oder unterdrückt gesehen. Im Gegenteil: Ich habe die Religion genossen. Ich erlebe noch immer große Befriedigung, wenn ich täglich die Messe besuche, und einen Verlust, wenn ich nicht hingehe.

Sie sind aus Hedonismus gläubig.

Würde ich dieses Wort verwenden? Aber ja, ich habe nie Dinge getan, die ich nicht mochte. Als wir 18 waren, tranken meine Freunde Scotch. Für mich schmeckte das wie Mundspülung. Warum sollte ich das Zeug trinken?

Man muss sich an den Whiskeygeschmack gewöhnen. Wie an die Messe.

Bei der Messe jedenfalls hat es für mich funktioniert. In die Wissenschaft kam ich, weil ich ein Science Fiction Fan bin und es schon als Jugendlicher war. Als ich die Bibliothek der Science Fiction Gesellschaft am MIT in Boston sah, wollte ich unbedingt dort studieren. Aus einer Laune heraus schrieb ich mich in Geowissenschaften ein. Es war großartig. Wir Studenten durften forschen, und ich schrieb meine Abschlussarbeit über Ozeane auf den Eismonden des Jupiters. Damals, in den 1970er Jahren, war das alles noch Spekulation. Die Raumsonden, die in vergangenen Jahren dort waren, haben meine Voraussagen über flüssiges Wasser unter den Eiskrusten bestätigt; meine Begründungen allerdings waren falsch. Doch als ich auf die Dreißig zuging, befriedigte mich die Forschung nicht mehr. Ich fragte mich: Was machst du eigentlich mit deinem Leben? Wie kannst du dir den Kopf über Jupitermonde verbrechen, wenn Menschen auf der Erde verhungern?

Und zu welchem Schluss kamen Sie?

Ich kündigte meine Stelle am MIT und meldete mich zum Peace Corps. Sie schickten mich nach Nairobi, um Astronomie zu unterrichten. Ich hatte mir einen praktischeren Einsatz für die Armen vorgestellt. Am Wochenende zog ich mit meinem kleinen Teleskop durch abgelegene Dörfer. Und die Menschen dort, die kaum das Lebensnotwendige hatten, waren begeistert, wenn sie ihr Auge ans Okular legen durften. Sie empfanden natürlich genau die Freude, von der wir vorhin sprachen. Da begriff ich, dass diese Freude, das Universum zu sehen, alle Menschen vereint.

Weil wir spüren, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind. Ich vermute, dahinter steht eine tiefe Sehnsucht: Wir wollen erfahren, wer wir eigentlich sind, und woher wir kommen. Viele Menschen erhoffen sich in der Religion eine Antwort, andere suchen sie in der Wissenschaft.

Ein Freund von mir erklärt es mit der Größe unseres Gehirns. Offenbar gibt es darin Teile, die mehr wollen als nur, dass am nächsten Morgen genug zu essen da ist. Und ja, Sie können die Sehnsucht auf das Bewusstsein von uns selbst zurückführen – auf das, was die großen Philosophen die menschliche Seele nannten. Ich würde dieses Gefühl die Freude nennen, in der Nähe Gottes zu sein. Aber versuche ich nicht, es mir zu erklären. Ich beobachte die Freude nur und nehme sie ernst. Sie gehört zum menschlichen Leben. Dass wir so empfinden, unterscheidet uns von gut gefütterten Rindern.

Aber deswegen wurden Sie nicht Jesuit.

Nein. Als nach zwei Jahren aus Kenia zurück kam, unterrichtete ich einige Jahre an einem amerikanischen College. Ich war glücklich. Doch dann scheiterte eine Beziehung, und mir wurde klar, dass es nicht meiner Persönlichkeit entspricht, eine Familie zu haben. Da schien mir die Zeit reif, in den Orden einzutreten. Hier kann ich die Forschung treiben, die ich immer machen wollte, und zugleich meinen Glauben leben.

Haben Sie keinen Widerspruch darin gesehen, als Wissenschaftler das Ordensgelübde zu leisten?

Nein. Warum hätte ich sollen?

Weil ein Wissenschaftler nur der Erkenntnis verpflichtet sein sollte. Als Jesuit haben sie aber Ihrer Kirche bedingungslosen Gehorsam geschworen.Was meinen Augen weiß erscheint, halte ich für schwarz, wenn die hierarchische Kirche so entscheidet“, hat der Gründer Ihres Ordens, Ignatius geschrieben. Nicht gerade eine sehr wissenschaftliche Haltung.

 

Eine Metapher. Hoffentlich.

 

Wie kommen Sie darauf, dass Ignatius es nicht so gemeint haben könnte?

Sie müssen den Satz im Kontext sehen. Wir Jesuiten hatten schon immer den Ruf, rebellisch zu sein. Aber Rebellion und Hingabe sind kein Widerspruch. Sie bedingen einander.

Manchmal.

Nun, in diesem Fall stellt sich der Konflikt gar nicht. Unsere Mission am Vatikanischen Observatorium ist ganz einfach, gute Wissenschaft zu machen. Niemand befiehlt uns, worüber und mit welchem Ergebnis. Wer zu uns kommt, bestimmt selbst, woran er forscht.

Sie gingen für die Sternwarte des Papstes in die Antarktis, um dort nach Meteoriten zu suchen.

Ja. Meteoriten geben Auskunft über die Geschichte des Sonnensystems. Aber die meisten Meteoriten, die auf die Erde fallen, werden niemals als solche erkannt. Die Menschen halten sie für ganz gewöhnliche Steine, und irgendwann werden sie verschüttet. Doch in der Antarktis fließt das Eis von Mitte an den Rand des Kontinents, wo es sich auflöst. Dabei kommen die vor vielen Jahrtausenden eingefrorenen Meteoriten wieder zum Vorschein. Man muss nur die Augen offen halten: Die schwarzen Steine, die sich auf der blauen Eisoberfläche abzeichnen, sind Meteoriten.

Wie lange haben Sie im Eis gelebt?

Monatelang. Meistens waren wir zu sechst, jeweils zwei Forscher in einem Zelt. Jeden Morgen fuhren wir mit dem Schneemobil weiter eine andere Gegend. Wenn Sie länger solch einer kargen Umgebung sind, verändert sich die Wahrnehmung. Die Farben leuchten stärker, Gerüche werden intensiver. Man beginnt sogar die Luft zu schmecken. Obwohl man sich fremd fühlt in dieser Natur, geht einem doch auf, dass auch sie zu unserem Universum gehört. Und dass das Universum viel reicher und vielschichtiger ist, wir es uns vorstellen.

Hat man noch ein Bedürfnis nach Religion, wenn man solch unmittelbaren Naturerfahrungen macht?

Ich hatte es. Ich hatte geweihte Hostien in einer Tupperwaredose dabei. Jede Nacht um 2 Uhr nahm ich eine und sprach ein Gebet. Für mich war es in dieser völligen Isolation sogar noch wichtiger, mich zu verbinden. Mich daran zu erinnern, dass die Welt größer ist als unsere drei Zelte.

Warum mitten in der Nacht?

Weil ich um diese Zeit ohnehin aufwache. Und weil ich nicht wollte, dass meine Mitreisenden davon erfahren. Was ich tat, war zu wichtig und zu intim. Wer dermaßen aufeinander angewiesen ist, wie wir es waren, lässt am besten alles Persönliche außen vor.

Ihre Kollegen im Zelt hätten Sie wohl auch nicht verstanden. Die wenigsten mir bekannten Wissenschaftler sind religiös.

Das entspricht nicht meiner Erfahrung. Normalerweise scheuen sich Wissenschaftler, über Religion zu sprechen. Aber als ich in den Orden eintrat, erzählten mir viele Kollegen von ihrer Glaubenspraxis. Wissenschaftler sind religiös wie andere Menschen auch.

Erhebungen kommen zu einem anderen Schluss. In den USA etwa glauben fast 90 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber nur 30 Prozent der Hochschullehrer an Gott. Und unter den Forschern, die aufgrund besonderer Leistungen in die amerikanische Akademie der Wissenschaften gewählt worden sind, sind sogar nur sieben Prozent.

Ich vermute, dass die Wissenschaftler die Frage bei solchen Erhebungen anders verstehen als andere Menschen. Die Wissenschaftler geben nicht über ihren Glauben, sondern darüber Auskunft, ob sie regelmäßig beten und in die Kirche gehen. Damit kommen sie auf natürlich auf geringere Quoten. Und die Akademie ist eine Versammlung älterer weißer Männer. Wer in solch ein Gremium gewählt wird, hat außer seiner Forschung nie ein Leben gehabt.

Für mich gibt es eine viel näher liegende Begründung für diese Daten: Die Wissenschaftler sind nicht gläubig, weil die Religion ihnen unplausibel erscheint. Die Kirche vertritt eine Lehre, die vor mehr als zweitausend Jahren entstand, in einer ganz anderen Welt. Und sie tut es noch dazu in einer Sprache, die kein Mensch mehr begreift. Als das Alte Testament geschrieben wurde, dachte man sich die Erde als flach. Und man konnte sich gar nichts anderes vorstellen, als dass ein höheres Wesen den Menschen in die Welt gesetzt hat. Heute verfügen wir über bessere Erklärungen.

Aber auch über eine reichere Theologie. In Babylon, wo die Schöpfungsgeschichte des Buchs Genesis ihren Ursprung hat, meinten die Menschen, dass die Erdscheibe von Gebirgen begrenzt und darüber ein Himmelszelt aufgespannt ist. Man fragte sich, was dahinter liegt. Heute wissen wir, dieser Horizont, hinter den wir nicht schauen können, ist Milliarden Lichtjahre entfernt.

Einen solchen Horizont gibt es, weil das Licht aus noch weiter entlegenen Gebieten des Weltraums seit dem Urknall nicht Zeit genug hatte, um uns zu erreichen. Aber dahinter geht das Weltall weiter. Nur können wir nicht wissen, wie es dort aussieht.

Wir mussten Astronomie treiben, um das zu erfahren. Jedenfalls beschäftigt uns die Frage, was jenseits des Horizonts sein mag, noch immer. Sie hat an Faszination nur gewonnen. Oft heißt es, wir Astronomen würden mit unseren Teleskopen nach den letzten Antworten suchen. Das ist nicht wahr. In Wirklichkeit regen wir dazu an, philosophische Fragen zu stellen.

Andererseits leben wir heute in einem goldenen Zeitalter der Kosmologie. Wir sind heute imstande, die Geschichte des Universums und damit unsere eigene Herkunft bis auf eine millionstel milliardstel Sekunde nach dem Urknall zurückzuverfolgen. Damit können wir nicht nur Antworten geben, die den Menschen vor drei Jahrzehnten oder gar zu Jesu Lebzeiten noch unbekannt waren. Wir können auch viel genauere Fragen stellen als sie.

Ja, wir haben viele neue Glieder in der Kette von Ursachen und Folgen kennengelernt. Wir wissen, wie die frühesten Galaxien aussahen. Neuerdings können sogar Gravitationswellen aus einer noch früheren Epoche einfangen, in der es noch nicht einmal Licht gab. Wir wissen tatsächlich erstaunlich viel über den Anfang des Universums. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Anfang des Universums und dem Ursprung des Anfangs des Universums.

Sie meinen die Frage, warum es das Weltall überhaupt gibt.

Genau. Dies ist keine wissenschaftliche, sondern eine metaphysische Frage. Darum werden wir sie auch nicht mit Physik beantworten können. Aber wie wir diese Frage angehen, hängt natürlich davon ab, was wir über die Geschichte des Universums wissen.

Und wie hilfreich sind da Glaubensvorstellungen aus einer Zeit, in der Menschen dachten, die Welt wurde in sieben Tagen geschaffen?

Noch einmal, ich glaube nicht, dass wir es mit neuen Fragen zu tun haben. Wir sehen die alten Fragen nur auf eine neue Weise. Das Buch Genesis erzählt nicht von Wissenschaft. Eine solche gab es damals noch nicht. In allen Schöpfungsberichten der Bibel finden Sie aber ein gemeinsames Thema: Das Universum ist das Werk eines übernatürlichen Gottes, der diese Welt wollte und liebt. Das ist eine tiefsinnige Überlegung, die gültig bleibt, auch wenn sich unser kosmologisches Wissen erweitert.

Einverstanden. In einer weltlichen Sprache würde ich diesen Gedanken so ausdrücken: Das Universum ist grundsätzlich gut. Allerdings hat ein solcher Glaube nicht das mindeste mit dem zu tun, was wir über die Entstehung des Kosmos herausfinden können.

Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: In der Antike vermutete man Monster auf den unbekannten Kontinenten jenseits der Ozeane. Natürlich wissen wir heute, dass es diese Monster nicht gibt. Allerdings wurden im Lauf der vergangenen Jahre gut tausend Exoplaneten im Weltraum entdeckt. Und es wäre sehr, sehr merkwürdig, wenn nicht einige dieser Planeten in anderen Sonnensystemen von intelligenten Wesen bewohnt wären. Wie denken diese Geschöpfe über die großen Fragen? Welche Vorstellungen haben sie darüber, warum es sie gibt, und wie das Universum entstand? Da schaue ich auf meine Religion und erkenne, dass die Welt eben nicht nur aus der Menschheit besteht.

Natürlich nicht. Aber wenn ich mich richtig erinnere, spielen andere Geschöpfe der Natur in der Bibel kaum eine Rolle.

Die Christen im Mittelalter glaubten jedenfalls keineswegs daran, dass sich die Menschheit im Mittelpunkt von allem steht. Diesen Fehler haben erst die Humanisten gemacht.

Im Mittelalter glaubte man an Engel. Die werden sie doch nicht mit Außerirdischen gleichsetzen wollen?

Wer sich Engel vorstellen kann, hat keine Schwierigkeit mit außerirdischer Intelligenz.

Aber die Kirche hatte Schwierigkeiten damit. Die Inquisition ließ Giordano Bruno im Jahr 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrennen, nachdem er über einen unendlichen Kosmos und Leben auf fernen Planeten spekuliert hatte.

Das war Unrecht. Aber Bruno war ein Spinner, und er wurde nicht für seinen Glauben an Außerirdische getötet. Nikolaus von Kues, der Bischof von Brixen, hatte ähnliche Theorien ungestraft mehr als ein Jahrhundert vor Bruno vertreten.

Ich würde Bruno keineswegs als einen Spinner bezeichnen. Wie auch immer: Die christliche Lehre behauptet, dass das Heilsgeschehen hier auf der Erde stattfand. Wie also finden Außerirdische Platz in der Theologie?

Nehmen wir einmal die Jupitermonde, die ich erforscht habe. Wir wissen heute, dass unter deren Eiskruste tatsächlich Ozeane liegen. Dass sich dort Leben herumtreibt, ist nicht sehr wahrscheinlich, doch möglich. Vielleicht tummeln sich intelligente Tunfische dort.

Eben. Meinen Sie, Jesus hat mit seinem Leiden auch diese Geschöpfe erlöst? Oder haben die Tunfische auf dem Jupitermond Io ihren eigenen Jesus?

Ich weiß es nicht, bin ja kein Tunfisch. Aber ich weiß: Jesus hat es gegeben. Und wenn eine Heilsgeschichte auf der Erde möglich ist, kann sie auch anderswo geschehen. Ich denke, noch mehr lässt sich aus der Wissenschaft schließen: Wenn auf einem anderen Planeten dieselben Naturgesetze herrschen wie auf der Erde, und dort Leben existiert, dann muss diese Leben dem irdischen ähnlichen ähneln. Und wenn es ein Geschöpf gibt, das sich seiner selbst und anderer bewusst ist, und sich entscheiden kann, diese anderen zu lieben oder nicht, dann steht diese Geschöpf vor denselben Fragen wie wir. Etwa wird es sich fragen, warum es das Böse gibt auf der Welt.

Mag sein. Aber ich sehe keinen Grund, warum der Tunfisch an Gott glauben sollte.

Weil es überhaupt keinen Grund gibt, der einen solchen Glauben zwingend erfordert. Auch für uns nicht. Gott ist kein Schluss, zu dem Sie am Ende einer Gedankenkette gelangen. Dass es ihn gibt, oder nicht, ist vielmehr eine Annahme, von der Sie ausgehen, wenn Sie das Universum betrachten. Beide Prämissen sind möglich. Es gibt kein richtig oder falsch. Sie müssen sich entscheiden.

Leider weiß ich nicht, wofür. Ich habe nie wirklich verstanden, was das Wort „Gott“ eigentlich meint.

Es gibt viele Bilder von Gott, falsche und sogar gefährliche Bilder. Ein wesentlicher Teil des christlichen Glaubens besteht darin zu erkennen, dass es unzählige Versionen von Gott gibt, an die ich nicht glauben kann.

Und woran können Sie glauben? Lassen Sie es uns mit einer Bedeutung versuchen, auf die wir uns vielleicht einigen können: „Gott“ ist die Ursache von allem. Das Wort ist eine Umschreibung für die unbeantwortbare Frage, warum es die Welt gibt, und warum sie so ist, wie sie ist.

Einverstanden. Aber für mich ist er mehr als das. Derselbe Gott, der für die Supernovae und die Naturgesetze verantwortlich ist, liebt mich auch.

Warum sollte er sich ausgerechnet für Sie interessieren? Oder für mich?

Tja, warum mögen meine Freunde mich? Wenn ich da eine Liste von Argumenten aufstelle, bin ich verloren. Eigentlich gibt keine Gründe. Trotzdem ist die Frage keineswegs trivial. Die Liebe kommt vor allem anderen.

Gefühle sind menschliche Regungen. Ich finde es schwer einzusehen, wie man einem Urgrund des Universums so etwas zuschreiben kann. Würden Sie auch sagen, dass Gott einen Willen hat und handelt?

Ja.

Als wäre er eine Person. Die Vorstellung, dass sich hinter der letzen unbeantwortbaren Frage ausgerechnet ein Wesen mit menschlichen Zügen verbirgt, erscheint mir, vorsichtig ausgedrückt, fantastisch.

Fantastisch, ja. Sogar wunderbar: Gott bewirkt Wunder. Aber nicht unglaublich.

Dann müssen wir uns wohl ein Wunder ansehen. Glauben Sie an die Auferstehung im Fleische?

Ja. Wenn es geschehen ist, dann kann es geschehen.

Was lässt Sie annehmen, dass Jesus nach seinem Tod körperlich auferstand?

Die Menschen, die den Auferstandenen sahen, glaubten so stark daran, dass sie eher bereit waren, selbst zu sterben, als das Erlebte zu verleugnen.

Haben Sie für das Phänomen eine Erklärung?

Natürlich nicht.

Und wenn ich Ihnen sage, ich bin einer Gruppe Menschen begegnet, die bei ihrem Leben schwören, sie hätten ein funktionierendes Perpetuum Mobile gesehen: Würden Sie daran glauben?

Natürlich nicht. Aber die Auferstehung lässt sich mit allem vereinbaren, was ich sonst über Gott weiß. Das Perpetuum Mobile dagegen ist mit allem unvereinbar, was ich über Maschinen weiß.

Beide sind mit allem unvereinbar, was wir über die Naturgesetze wissen.

Richtig. Beide widersprechen dem naturwissenschaftlichen Modell, das wir vom Universum haben. Also sind entweder die Daten falsch, oder das Modell.

Welche Daten?

Die Zeugnisse der Menschen, die den Auferstandenen und angeblich das Perpetuum Mobile gesehen haben. Jetzt werden Sie mich natürlich fragen, warum ich im einen Fall den Zeugnissen glaube, im anderen nicht.

Oder warum Sie an die Auferstehung glauben, aber nicht an die Schöpfungsgeschichte, wie sie die Bibel erzählt.

Weil nicht irgendjemand auferstanden ist, weil sich die Zeugen mit ihrem Leben für die Wahrheit ihrer Aussage verbürgten. Und vor allem, weil die Auferstehung der Angelpunkt einer ganzen Theologie ist, die das Universum sinnvoll macht und für mich wahr klingt.

Ich glaube gern, dass die Jünger Jesus nach der Kreuzigung wirklich gesehen haben. Sie müssen unter einem enormen Schock gestanden haben, und Halluzinationen nach einer traumatischen Erfahrung sind gut dokumentiert. Auch ich finde die Auferstehung eine starke Geschichte. Aber ich kann diese Geschichte nicht wörtlich nehmen. Ich lese sie als ein kraftvolles Gleichnis dafür, dass das Gute manchmal auf erstaunlichen Wegen den Hass und die Gewalt überwindet. So, wie auch Sie die Genesis in metaphorischem Sinn, aber nicht buchstäblich verstehen.

Was ist denn der Unterschied zwischen Ihrer und meiner Lesart? Es läuft darauf hinaus: Wenn es die Auferstehung tatsächlich gab, dann ist sie auch uns versprochen. Und wenn Gott mir sagt, es gibt ein ewiges Leben, dann sag‘ ich nicht nein.

Zweifeln Sie machmal an Ihrem Glauben?

Natürlich. Es gibt kein religiöses Leben ohne Zweifel. Aber ich zweifle nicht oft. Im Grunde liegt es an meinem Hedonismus. Ich frage mich dann, was hätte ich davon, wenn ich auf meinen Glauben verzichte?

Ehrlichkeit. Wahrheit ist nicht etwas, was ich mir so zurechtbiegen möchte, wie es mir am besten gefällt.

Schön. Aber dann müssen Sie mir erklären, warum sie der Wahrheit einen so hohen Wert beimessen, dass Sie von ihr nicht abrücken wollen. Ich würde sagen, auch damit haben Sie eine religiöse Entscheidung getroffen.

 

erschienen in: ZEITmagazin 44/2017