Was ist Glück?

 Herr Klein, Sie haben ein Buch über die Wissenschaft vom Glück geschrieben. Kann man Glück überhaupt erforschen?

Klein: Seit neuestem kann man es. Die Frage nach dem glücklichen Leben ist eine der ältesten überhaupt. Die Philosophen zerbrechen sich seit 2000 Jahren darüber die Köpfe und haben allerlei widersprüchliche Antworten gefunden. So ist der Mythos entstanden, man könne nicht genau sagen, was Glück ist. Aber in den vergangenen zehn Jahren sind wir viel klüger geworden. Denn wir haben eine Menge darüber erfahren, wie unser Gehirn funktioniert und wie Gefühle entstehen. Die Erforschung des Glücks ist ein kleiner, aber sehr nützlicher Spin-Off der Gehirnforschung.

 

Was ist also Glück?

Glück ist ein Signal, das die Natur erfunden hat, um uns zu zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mit Glücksgefühlen werden wir dazu verlockt, Dinge zu tun, die gut für uns sind. So lernen wir, welche Situationen wir suchen und herstellen sollen. Negative Gefühle funktionieren genau umgekehrt – die Angst zum Beispiel bringt uns dazu, Gefahren zu vermeiden.

Die Mechanismen, die solche Emotionen hervorrufen, und die Weise, wie wir sie ausdrücken, sind angeboren. Auch das ist etwas, was man noch vor 30 Jahren nicht gedacht hätte. Man glaubte, der Mensch käme als unbeschriebenes Blatt zur Welt. Heute wissen wir, dass unsere genetischen Anlagen unsere Gefühle sehr stark bestimmen. Darin liegt der tiefere Grund dafür, dass die Empfindung von Glück in sehr unterschiedlichen Lebenslagen sehr ähnlich ist. Egal, ob Sie etwa ein gutes Essen genießen, Sex haben oder eine Arbeit erfolgreich abgeschlossen haben – es ist immer dieselbe Melodie der Freude, nur die Orchestrierung unterscheidet sich. Denn neurobiologisch betrachtet, gibt es eigentlich nur zwei Grundformen des Glücks. Die eine ist das Begehren. Die andere ist das Genießen, also etwas bekommen zu haben und es auszukosten.

 

Das würde bedeuten, dass Glück ohne den Körper nicht funktionieren kann.

Für Lust und Genuss gibt es Mechanismen im Gehirn, bei denen bestimmte Hormone ausgeschüttet werden. Aber Glück entsteht tatsächlich nicht nur im Kopf, wie man meinen könnte, auch der Körper spielt eine wichtige Rolle dabei. Wenn Sie glücklich sind, entspannen sich die Gesichtszüge und die Muskeln in den Gliedern. Ihr Augenringmuskel zieht sich ein bisschen zusammen, Sie bekommen Lachfältchen, die Mundwinkel wandern nach oben. Auch Ihr Herz schlägt etwas schneller. Indem das Gehirn solche Veränderungen im Körper einerseits auslöst und sie andererseits beobachtet, konstruiert es die Empfindung des Glücks. Gegen den Körper sind gute Gefühle nur sehr eingeschränkt möglich. Versuchen Sie einmal, mit angespannten Muskeln und einer gerunzelten Stirn glücklich zu sein.

Interessant dabei ist, dass Sie über den Umweg des Körpers Gefühle manipulieren können. Man kann lernen, den Augenringmuskel, der normalerweise nicht der willentlichen Kontrolle des Menschen unterworfen ist, zusammenzuziehen. So erzeugen Sie künstlich ein Lächeln mit echten Lachfältchen. Sie können die Empfindung, die dabei entsteht, tatsächlich nicht von echter Freude unterscheiden. Aber dazu gehört Übung.

 

Das klingt sehr nach Manipulation. Echtes Glück wäre den meisten Menschen sicher lieber.

Glück kann man lernen. Denn wir alle sind von der Natur dafür eingerichtet, Glück zu empfinden. Und jeder kann dieses Vermögen trainieren. Beispielsweise, indem wir uns gezielt in Situationen bringen, in denen wir wahrscheinlich Glück oder Freude empfinden werden. Und wir können durch Übung beeinflussen, wie wir bestimmte Situationen erleben. Durch dieses Training verändert sich das Gehirn. In welch enormem Ausmaß dies möglich ist, haben Wissenschaftler erst in den vergangenen Jahren entdeckt. Anders als man früher dachte, entstehen auch im Gehirn eines Erwachsenen ständig neue Gehirnzellen. Die Verschaltung der Neuronen verändert sich ebenfalls ständig. So wird das Gehirn durch Erfahrung geformt. Entscheidend dabei ist, dass diese Veränderungen durch Wiederholen zustande kommen. Das bedeutet: Indem wir trainieren, bestimmte Situationen auf eine bestimmte Art und Weise zu erleben, können wir das Gehirn umgestalten. Wenn Sie das üben, wird es Ihnen mit der Zeit immer leichter fallen, Gefühle wie Freude zu erleben.

 

Das hört sich an, als ob theoretisch auch für den Übellaunigen berechtigte Hoffnung auf Glück besteht. Wie aber funktioniert das in der Praxis?

Zum Beispiel können Sie lernen, Ihre negativen Emotionen zu kontrollieren. Wenn Ihnen jemand eine Parklücke vor der Nase wegschnappt, dann ärgern Sie sich. Nun könnten Sie ausrasten. Dem liegt der Glaube zugrunde, dass es eine gute Idee ist, Wut oder Trauer so richtig rauslassen, weil sie sich dann entlädt. Aber das stimmt nicht, denn tatsächlich passiert etwas ganz anderes, wenn Sie sich aufregen. Wenn Sie den Menschen anschreien, bekommen Sie den Parkplatz natürlich trotzdem nicht. Sie sind jedoch länger im Zustand der negativen Emotion, der Wut, geblieben, als es notwendig war. Dadurch haben Sie Ihren Körper mit Stresshormonen überschüttet – und die Wahrscheinlichkeit gesteigert, dass Sie das nächste Mal, wenn Ihnen jemand eine Parklücke wegnimmt, wieder einen Wutausbruch bekommen. Viel besser ist es, diese negative Emotion wahrzunehmen und danach zur Tagesordnung überzugehen. Denken Sie einfach an die nächste Parklücke oder an etwas ganz anderes.

Emotionen haben in der Natur die Funktion eines Signalgebers. Sie haben das Signal bekommen und ärgern sich. Nun ist die Botschaft überbracht, der Bote kann schweigen. Wenn Sie trainieren, sich damit nicht lange aufzuhalten, werden Sie mit der Zeit Ihre Wut immer besser kontrollieren können. Das heißt nicht, die Emotion zu unterdrücken – Sie nehmen sie ja wahr. Aber Sie lernen, schneller wieder davon loszukommen – und werden sich dadurch besser fühlen.

 

Je öfter ich in einem Gefühlszustand bin, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, ihn wieder zu erleben?

Ja. Wiederholung festigt die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Zentren im Hirn, wie Messungen der Gehirntätigkeit zeigen. Und diese Verbindungen beeinflussen, wie wir auf bestimmte Situationen reagieren.

 

Zu lernen, mit negativen Emotionen umzugehen, macht aus einem unglücklichen Menschen aber wohl kaum einen glücklichen.

Ein Training, wie ich es gerade beschrieben habe, wirkt selbst bei klinischen Depressionen. Das haben Versuche mit tausenden Menschen bewiesen. Erst recht hilft es bei der alltäglichen Niedergeschlagenheit. Aber Glücksfähigkeit bedeutet nicht nur zu lernen, mit negativen Emotionen umzugehen. Psychotherapien haben sich bislang viel zu sehr darauf konzentriert, den Leuten die Symptome der Angst, der Deprimiertheit oder gar von Depressionen zu nehmen, sich aber zu wenig damit befasst, die Lebensfreude der Menschen zu steigern.

Zum Glück gehört auch die Körperwahrnehmung. Deshalb sind Bewegung und Sex wichtige Faktoren, die den guten Gefühlen den Weg bereiten. Sport etwa setzt Hormone frei, Endorphine und wahrscheinlich auch Serotonin. Und: Tätigkeit ist ein Schlüssel zum Glück. Wir glauben ja häufig, Glück hieße, alle Viere von sich zu strecken. Das ist falsch. Wir sind für das träge Leben nicht gemacht. Unser Gehirn bestraft uns regelrecht dafür mit negativen Gefühlen der Abgespanntheit, der Gereiztheit und der Unlust.

 

Je weniger wir tun, je träger wir sind, desto ermatteter und unglücklicher fühlen wir uns?

Das heißt nicht, dass es nicht gut tun kann, einmal auszuspannen, wenn man sich sehr angestrengt hat. Es heißt aber wohl, dass ein dauerhaftes Faulenzen, etwa vorm Fernseher, nicht zu guten Gefühlen führt.

Gute Gefühle bekommen Sie vor allem, wenn Sie sich Ziele setzen und auch versuchen, sie zu erreichen. Dabei entsteht Lust: die Lust des Begehrens, des Wollens, die Lust auf das Neue. Neurobiologisch gesehen sind die Mechanismen für Lust und Neugierde dieselben. Bei all dem ist es weniger wichtig, was Sie tun. Hauptsache, Sie machen etwas, was Ihnen Spaß macht. Egal, ob Sie sich ein berufliches Ziel setzen, ob Sie tanzen gehen oder Ihren Garten umgraben, es kommt darauf an, dass Sie sich engagieren. Der Heilige Thomas von Aquin hat einmal gesagt: Trägheit macht traurig. Das ist sehr wahr.

 

Mitunter sind es aber auch schwierige, unveränderbare Lebensbedingungen, die Menschen unglücklich machen. Krankheit etwa.

Trotzdem haben die Lebensumstände viel weniger mit der Gemütslage zu tun, als man meinen möchte. Oft macht man bei Menschen, die eine schwere Krankheit haben oder ein schweres Familienschicksal, ganz erstaunliche Entdeckungen: Sie haben trotz ihres Schicksals die Fähigkeit zum Glück nicht verloren. Sie können sich an kleinen Dingen freuen, etwa an menschlichen Begegnungen, an Wahrnehmungen. Umgekehrt gibt es Leute, die ganz ohne äußeren Anlass so unglücklich sind, dass das Leben für sie eine einzige Qual ist. Solche Menschen leiden unter Depressionen. Und das betrifft viele: Ungefähr zwölf Prozent der Bevölkerung macht im Laufe ihres Lebens eine Depression durch – die Tendenz ist steigend.

 

Glück wäre demnach vor allem eine Sache der Wahrnehmung.

Psychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen häufig viel besser gestimmt sind, als sie es später behaupten. Unser Verstand neigt häufig dazu, die Erfahrung des Glücks zu ignorieren. Die eigenen Emotionen wahrzunehmen macht glücklicher und auch aufnahmebereiter für das Glück. Einerseits schulen Sie auf diese Weise Ihr Sensorium. Zum anderen führt auch die genaue Wahrnehmung äußerer Dinge zur Empfindung von Glück. Wenn Sie sich auf etwas konzentrieren, egal, auf was, den Vogel, der vorbeifliegt, oder das Blau des Sofas, auf dem Sie gerade sitzen, dann hebt das die Stimmung. Und zwar schon deswegen, weil Sie sich in einem solchen Moment nicht mit Ihren Ängsten und Sorgen beschäftigen.

 

Menschen unternehmen viel, um glücklich zu sein. Sie bekommen Kinder, bauen Häuser, machen Karriere und verdienen mehr Geld. Aber glücklicher scheinen sie damit nicht zu werden.

Dem liegt eine tragische Verwechslung von Glück und Zufriedenheit zugrunde. Zufriedenheit ist im Gegensatz zu Glück kein Gefühl. Zufriedenheit ist die Folge eines Urteils, sie entsteht, wenn wir über unser Leben nachdenken. Dabei machen wir uns Maßstäbe zu Eigen, die in hohem Maße von unserer Kultur geprägt sind. Glück dagegen wird von allen Menschen weltweit gleich empfunden. Es findet, wie alle Gefühle, in der Gegenwart statt. Sie sagen: Ich bin jetzt glücklich. Zufriedenheit entsteht im Rückblick. Der Vergleich mit früheren Lebenslagen und mit anderen spielt eine wichtige Rolle dabei.Wenn ich Sie frage: Sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden?, dann werden vor Ihrem inneren Auge sehr viele Dinge vorbeiziehen, die Sie bewerten. Sie werden sich überlegen: Geht es mir so gut, wie ich es mir vorgestellt habe? Geht es mir so gut wie anderen? Geht es mir besser? Schlechter? Erst dann werden Sie zu einem Schluss kommen.

Wenn Sie nun beispielsweise den Mann Ihres Lebens gefunden haben und mit ihm eine Familie gründen, empfinden Sie durchaus momentanes Glück. Aber sobald Sie sich an die neue Situation gewöhnt haben, werden Sie unzufrieden. Ein einfaches Beispiel ist die Gehaltserhöhung. Ihre Chefin kommt herein und sagt: Du bekommst 500 Euro mehr. Sie werden sich freuen. Zuerst. Nach einiger Zeit denken Sie: Hat mir dieses Gehalt nicht schon lange zugestanden? Und: Verdient mein Kollege nicht immer noch viel mehr?

 

Ist Unzufriedenheit also etwas Urmenschliches?

Sie ist nicht nur uns Menschen zu Eigen. Die Ansätze dazu gibt es auch schon bei Tieren. In einem Versuch wurden Affen mit Apfelschnitzen gefüttert. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass in dem Augenblick, in dem sie mit den Apfelstücken erschienen, im Hirn der Äffchen bestimmte Neuronen feuerten. Das war die Vorfreude auf die Leckerei. Doch nach einiger Zeit empfanden die Äffchen kein Glück mehr, wenn sie die Forscher mit dem Futter um die Ecke biegen sahen. Die Neuronen feuerten nicht mehr, wie Hirn-Scans zeigten. Für die Äffchen waren die Äpfel normal geworden. Also stellten die Forscher die Kost um. Die Affen bekamen nun eine noch größere Köstlichkeit: Rosinen. Und siehe da, die Neuronen zeigten an, dass die Affen sich wieder auf ihre Mahlzeit freuten. Allerdings nur so lange, bis sie sich auch an die Rosinen gewöhnt hatten. Danach wurden die Tiere wieder auf Apfeldiät gesetzt. Die Aktivität im Hirn ging prompt zurück. Die Affen waren tief enttäuscht. Doch nach einer Weile stieg die Tätigkeit der Neuronen wieder auf ein normales Niveau. Die Affen hatten sich also an die verschlechterte Situation gewöhnt. Uns Menschen geht es genauso. Es ist eine große Illusion, zu glauben, man könne durch Veränderung der äußeren Lebensumstände – besseres Essen, eine schönere Wohnung, mehr Geld – so etwas wie dauerhafte Zufriedenheit erreichen. Das Glück ist vorübergehend, danach taucht das nächste Ziel auf.

 

Das heißt, man muss sich immer neue Ziele setzen. Im Beruf mag das leicht gehen, aber privat wird es schwierig: Soll man etwa ständig den Partner wechseln?

Das ist in der Tat der Weg, den viele Leute wählen. Und immer nur mit vorübergehendem Erfolg. Sie haben aber eine Alternative dazu. Sie können im Vertrauten Neues entdecken, an ihrem Partner neue Züge erkennen, ihre Umgebung genauer wahrnehmen, neue Freunde gewinnen, ohne dass sie gleich ihr Leben umkrempeln müssen. Ob privat oder beruflich: Es kommt nicht nur darauf an, dass Sie bestimmte Dinge tun, es kommt auch darauf an, dass Sie bestimmte Dinge vermeiden.

 

Welche sind das?

Ich selbst habe für mich gelernt, weniger auf andere zu schielen. Sich zu vergleichen ist eine der größten Fallen auf dem Weg zum Glück.

 Eine andere Falle sind falsche Erwartungen. Zu hohe Erwartungen sind genauso wenig hilfreich wie zu niedrige. Denn die Natur hat die Erwartung erfunden, um uns zur Aktivität anzuregen. Wenn Sie Ihre Chancen zu niedrig einschätzen, werden Sie kaum motiviert sein, sich zu bemühen. Unrealistisch hohe Erwartungen aber sind eine Glücksfalle, weil sie oft zu unnötigen Enttäuschungen führen. Bei den Olympischen Spielen etwa sind die Bronzemedaillen-Gewinner glücklicher als die Silbermedaillen-Gewinner, wie sich bei einer Studie während der Olympischen Spiele in Barcelona 1992 herausstellte. Warum? Viele Silbermedaillen-Gewinner sind unglücklich, weil sie erwartet hatten, sie könnten Gold gewinnen. Die Gewinner der Bronzemedaille hatten dagegen eher die Erwartung, überhaupt keine Medaille mit nach Hause zu nehmen. Also freuten sie sich umso mehr.

Sich zu sehr von äußeren Einschätzungen und Lob abhängig zu machen ist eine weitere Falle. Denn das Lob von anderen haben wir nicht selbst in der Hand. Was wir nicht in der Hand haben, können wir nicht kontrollieren, das bedeutet Stress für uns. Und der ist oft genug Grund für Niedergeschlagenheit.

 

Hand aufs Herz: Ist es schwierig, das Glück zu erlernen?

Nein, es ist vor allem eine Sache der Übung. Wir alle tragen alle Anlagen zum Glück in uns. -----|

 

Interview: Christiane Sommer
erschienen in brandeins 07/200
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